Es ist nicht sehr oft, dass bei der Lektüre dieser Seiten meine Charakterzüge als geborener halbwegs stolzer Brite, studierter Pädagoge und zudem Besserwisser alle gleichzeitig zum Vorschein kommen - aber die Beiträge von
@Svies und
@Desirofreak haben es geschafft, mich in aller Eile an meine Tastatur zu jagen! Und es geht hier nicht um die Digitaltechnik, die mich sowieso nicht groß interessiert, sondern um die Halbwahrheiten und falsche Annahmen in Punkto britische Eisenbahnen!
Erstens existiert seit Mitte der 1990er Jahren keine Körperschaft mehr mit dem Namen British Rail dank der damaligen konservativen Regierung mit der vermurksten Politik der Privatisierung. Es existieren ein staatlicher Netzbetreiber Network Rail plus diverse private Unternehmen, die Leistungen im Personen-und Güterverkehr erbringen. Die Tage der privaten Bahngesellschaften auf der Insel sind gezählt - es ist die Politik der jetzigen Labour-Regierung, alle privaten Anbieter des Personenverkehrs in staatliche Hand zurückzuführen - bis jetzt sind u.a Scotrail, LNER und Northern Rail wieder staatlich. Noch ist nicht entschieden, ob der Güterverkehr in privater Hand bleibt - aber da alle Kunden der Güterverkehrsanbieter anscheinend zufrieden sind, passiert da vorerst wohl nichts.
Und dann zu dem Kommentar, dass die britischen Eisenbahnen in einem desolateren Zustand als die deutschen sind. Oh dear, wie König Charles zu sagen pflegt. Wer gestern die Sendung Plusminus gesehen hat, wird wohl geschockt sein, wie wenig pro Kopf in Deutschland in der Bahn investiert wird (ca €115 pro Jahr). Hier ist die Summe ungefähr doppelt so hoch - siehe z.B die Elektifizierungsmaßnahmen in Nordengland und in Wales.
Ich wusste gar nicht, ob die Kommentare zum Einsatz der Class 66 ernst gemeint waren oder nicht - aber los geht´s: Es gibt Lokzüge bei uns, jeden Tag passieren mein Haus Lokzüge mit Cl. 66, die von dem Hauptdepot von Freightliner in Leeds nach Newcastle und Edinburgh unterwegs sind. Und ja, es wird bei uns nachgeschoben - ein besonderer Ort dazu ist Bromsgrove südlich von Birmingham, wo eine Class 66 immer stationiert ist, um schwere Güterzüge Richtung Birmingham nachzuschieben. Wer Englisch kann, soll hierzu im Netz über die Lickey Incline lesen -
Lickey Incline - Wikipedia. In Punkto Loklampen gibt es hierzulande keine besondere Zugschlusskennzeichnung für eine Schiebelok - siehe den späteren Textteil.
Und dann zum Thema UIC und Kooperation mit europäischen Bahnen. Es hat zwar Brexit gegeben, aber unsere Bahnen speziell Network Rail arbeiten noch eng mit den Festlandbahnen zusammen - das europäische Nummerierungsschema haben wir auch, wir arbeiten an der Entwicklung von ERTMS fleißig mit - das System wurde in Wales jahrelang ausführlichst getestet.
Ja, und dann zu den Scheinwerfern und Lampen der englischen Loks (gilt auch für Dampfloks mit Hauptbahnzulassung). Das moderne britische System ist extrem einfach- die komischen Zugklassifikationen der 1960er Jahre wurden längst abgeschafft. Ich hänge an mein Post zwei Abbildungen ran. Jede Lok oder jeder
Triebwagen hat vorne oberhalb der Pufferbohle zwei Positionslichter bzw. Rangierlichter von minderer Intensität (auf der Strecke leuchtet meistens nur eins davon) plus zwei Hochleistungsscheinwerfer. Die neuesten Loks und Triebwagen besitzen eine dritte Spitzenlampe mittig über der Windschutzscheibe, die nicht immer benutzt wird. Die Hochleistungsscheinwerfer, wovon nur einer bei der Streckenfahrt leuchtet (normalerweise tagsüber der rechte, nachts der linke) dürfen bei Rangierfahrten wegen Blendungsgefahr nicht eingeschaltet werden - dafür dann die zwei kleinen´Standlichter´. Der Zugschluss wird bei einer Lok oder bei einem Triebwagen mittels zwei rote Lampen angezeigt - bei einem Güterzug (oder einem Personenzug aus älterem rollendem Material) hängt am letzten
Wagen immer eine blinkende rote Hochintensitätslampe.
Weitere Fragen??