Hallo in die Runde,
ich möchte ein paar grundsätzliche, zum Teil auch persönliche, Anmerkungen zum Thema machen.
1.
Wir kennen als Grundlage der Diskussion nicht den exakten Inhalt des Papiers, sondern den Reuters-Bericht. Somit bleibt manches spekulativ.
2.
Wenn es genau so kommen sollte wie vermutet, dann erinnert mich das Ganze an ein MORA-C 2. Zur Erinnerung: Unter Mehdorn wurden ab dem Jahr 2000 regionale und lokale Funktionen der Bahn abgeschafft oder deutlich modifiziert, dies zum Nachteil der Kunden: Ob die deutlich teurere BahnCard 50, die Abschaffung des Produkts Interregio oder eben Ende 2001 die Schließung vieler Tarifpunkte von DB Cargo. Hierzu einige Anmerkungen aus meinem persönlichen regionalen Umfeld:
Im Herbst 1989 unternahm ich mit zwei Freunden als Jugendlicher eine Rundreise mit einem Triebwagen unter dem Motto "Güterstrecken in Schleswig-Holstein". Dabei befuhren wir in zwei Tagen von Lübeck ausgehend Bahnstrecken, welche teilweise schon lange für den Personennahverkehr eingestellt waren, im Güterverkehr aber noch genutzt wurden. Ich kann mich noch erinnern, wie ich mich über die Stilllegung von Bahnstrecken für den Personenverkehr durch die DB in den achtziger Jahren geärgert habe. Dabei wurde jene Taktik angewendet, die bis heute seit gut 25 Jahren im Güterverkehr vorherrscht. Mit der "Salami-Taktik" versuchte sich die Bundesbahn von unrentablen Strecken im Personenverkehr zu trennen (Angebotsverschlechterung, schließlich Einstellung). Bei dieser Rundreise fuhren wir über Strecken, nach denen heute zum Teil kein Hahn mehr kräht (Malente-Gremsmühlen - Lütjenburg, Schleswig - Schleswig Altstadt, Husum - Mildstedt (-Rendsburg), Itzehoe - Edendorf (-Wrist), St. Michaelisdonn - Marne, St. Michaelisdonn - Brunsbüttel Nord, Wrist - Kellinghusen (-Itzehoe)). Auf diesen Srecken waren es Kunden wie die Bundeswehr oder zumeist landwirtschaftliche Genossenschaften, die für Güterverkehr sorgten, zum Teil auch Firmen. Diese Firmen waren oder sind vor allem im klassischen sekundären Wirtschaftsektor tätig, der für die Bahn neben Massentransporten besonders wichtig ist/war. Verstärkt ab Mitte der neunziger Jahre fielen diese Kunden fort bzw. wurden gekündigt.
Mit MORA C im Jahr 2001 war der erste Kahlschlag durchgeführt, so dass auch Orte mit Bahnhöfen mittlerer Größe keinen Güterverkehr mehr aufwiesen (in meinem Umfeld bspw. Mölln, Flensburg, Husum u.a.). Obwohl zum Teil mehrere Kunden vorhanden waren, machte man diese Tarifpunkte "platt". Es gab Ausnahmen, aber dies waren nicht besonders viele. Ab den neunziger Jahren begann ich mich zunehmend für den Güterverkehr auf der Schiene zu interessieren, da dieser "auf dem platten Land" zunehmend zu einer Rarität wurde. Bei Realisierung der eingangs geschilderten Maßnahmen lägen diese also in einer jahrzehntelangen (west-)deutschen Tradition begründet (wurde weiter oben in diversen Posts ja auch schon dargelegt). In meinem Kieler Wohnumfeld (immerhin ca. 250.000 Einwohner) gibt es 2019 kaum noch nennenswerten Güterverkehr: Weniger als eine Hand voll privater Firmen, die ein bis ca. fünf Waggons pro Fahrt erhalten, ein paar Containerzüge, hin und wieder ein Kesselwagenzug zum Nordhafen. Mit der Stilllegung eines Kohlekraftwerks fielen im März 2019 auch die täglichen Transporte dorthin fort. Gerade zum September 2019 wurde einer Firma (vermutlich) gekündigt, die werktäglich vom Rest des Rangierbahnhofs Meimersdorf über 10 km pro Tag zuletzt einen Waggon erhielt. Dafür wurde eine BR 261 (Gravita) verwendet. Hier lässt sich exemplarisch die "Güter-Salamitaktik" erkennen: Obwohl diese Firma, welche Spezialöle hestellt, expandiert, wurde die Anzahl der Wagen weniger (mein Avatar zeigt übrigens einen solchen Zug).
Die De-Industrialisierung im Osten Deutschlands nach 1990 hat natürlich diese Entwicklung dort noch viel krasser werden lassen, nicht zuletzt zur im Vergleich zur Alt-BRD viel größeren Bedeutung des Schienengüterverkehrs in der DDR bis 1989.
3.
Auch in anderen Ländern lässt sich diese Entwicklung beobachten, so zum Beispiel in Dänemark, wo kein eigener Güterverkehr der DSB mehr angeboten wird.
Kurz, mein persönliches Fazit hierzu: Der Wandel der Wirtschaftsstruktur, einseitige Bevorzugung des LKW und die Orientierung des staatlichen Unternehmens DB AG primär auf Rentabilität vs. öffentliche Aufgaben, meiner Ansicht nach auch zu geringe Flexibilität von DB Cargo, mangelnder politischer Wille (der Vergleich Deutschland - Tschechien bspw. lässt Deutschland in Bezug auf Service allgemein und Güterdienstleistung auf der Schiene meiner Ansicht nach ziemlich alt aussehen) trägt zu dieser Entwicklung bei und lässt politische Bekundungen pro Schiene trotz Klimadebatte ziemlich hohl wirken, da meiner Auffassung nach nur wenige politische Entscheidungsträger willens sind, sich, wie es so schön heißt, nachhaltig und differenziert mit der Thematik auseinanderzusetzen und für entsprechenden politischen Druck sorgen (ÖPNV ist einfach prestigeträchtiger).
Für mich als Eisenbahnfreund wird die Bahn ab 2001 zunehmend uninteressant, trotz einiger spannender Entwicklungen und auch meiner Ansicht nach lohnender Objekte des Interesses (Lokomotiventwicklungen wie Gravita, Vectron, Taurus u.a., Doppelstockzüge, Vielfalt und Farbigkeit einzelner EVU und auch des Güterverkehrs, leider oft graffiti-beschmiert).
Gruß von der Küste,
24 014
P.S.: Anmerkung am Rande: Mitte der siebziger Jahre wurde in der BRD über ein "betriebswirtschaftlich optimales Netz" diskutiert, welches lediglich 6.000 km übrig lassen sollte...