LEW E211 001 Weltstandslok
Leserbrief an die Volksstimme, veröffentlicht am 5. November 2002 von Hans-Joachim Weise, Ilmenau
Erinnerungen eines Eisenbahn-Fans
Probefahrten durch den Harz mit neu entwickelter E-Lok
Gut 30 Jahre ist es nun her, dass zwischen Blankenburg und Königshütte eine Elektrolok im Einsatz war, die sich schon äußerlich von den gewohnten Maschinen der Baureihe E 251 unterschied und darum einiges Aufsehen erregte: Obgleich die Deutsche Reichsbahn beim traditionellen 16-2/3-Hertz-Betrieb blieb und nur die Rübelandbahn wegen ihrer Lage abseits von diesem Netz mit dem System 25 000 Volt/50 Hertz elektrifizierte, entstand beim VEB Lokomotivenbau - Elektrotechnische Werke „Hans Beimler“ in Hennigsdorf eine Schnellzuglokomotive für dieses System. Der Betrieb verfolgte da mit das Ziel, neue Märkte in den sozialistischen Ländern Osteuropas zu erschließen. Immerhin elektrifizierten die Staatsbahnen Bulgariens, Ungarns und Rumäniens ihre Streckennetze mit diesem System. In der Sowjetunion und der CSSR, wo bislang Gleichstrom benutzt wurde, kam bei Neuelektrifizierungen ebenfalls dieses Wechselstromsystem zur Anwendung.
Zur Leipziger Frühjahrsmesse 1967, vor 35 Jahren also, war es soweit, dass die Hennigsdorfer Lokomotivbauer ihre neue 50-Hertz-Lok erstmals der in- und ausländischen Öffentlichkeit vorstellen konnten. Entsprechend den damaligen Grundsätzen der Deutschen Reichsbahn hatte sie die (Werks-) Bezeichnung E 211 001 erhalten.
Schon äußerlich machte die Lok einen sehr modernen Eindruck: Der formschöne Lokkasten war in Stahlleichtbauweise ausgeführt worden, für die Stirnseite und Dachhaube kam die Stützstoffbauweise zur Anwendung. Dafür wurden kunstharzimprägnierte Papierwaben bzw. glasfaserverstärkte Polyesterbauteile eingesetzt. Die beiden Führerhäuser boten - dem Lokpersonal gute Arbeitsbedingungen. Am auffälligsten für den Betrachter waren die großen Panorama-Stirnscheiben, die nicht nur eine ausgezeichnete Streckenansicht ermöglichten, sondern der neuen Lok u gleich ihre unverwechselbares Gepräge gaben. Eine weitere Neuerung waren die Einholm Stromabnehmer, über die der Maschine die Energie von der Fahrleitung zugeführt wurde. Damals als etwas Ungewöhnliches erscheinend, ist diese Bauart bei heutigen elektrischen Triebfahrzeugen längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Als Zug- und Stoßvorrichtungen konnten so wohl die übliche Schraubenkupplung als auch Mittelpufferkupplung eingebaut wer den. Die vier Fahrmotoren übertrugen ihre Kraft auf Räder mit Hilfe eines neu entwickelten Tatzlager-Hohlwellenantriebs mit Gummikegelringfeder. Gesteuert wurde die Lok anfangs über ein konventionelles Hochspannungsschaltwerk, das im Zeitraum 1970/71 durch ein neuentwickeltes elektronisches Schaltwerk mit steuerbaren Gleichrichtern (Thyristoren) ersetzt wurde. Die E 211 001 wog 82,5 Tonnen, hatte eine Nennleistung von 3 360 Kilowatt und entwickelte eine Zug kraft von 14,9 Megapond. Ihre Höchstgeschwindigkeit betrug 160 km/h. Sie wurde zunächst auf dem zu Versuchszwecken mit dem System 25 000 Volt/50 Hertz elektrifizierten Abschnitt Hennigsdorf-Wustermark des Berliner Außenrings erprobt. 1971 folgten Einsätze auf der schwierigen Rübelandbahn Blankenburg - Königshütte im Harz, wobei die Maschine auch planmäßige Personenzüge zog.
Diese Fahrten dienten vor allem der Erprobung der für neu zu beschaffende Elektroloks vorgesehenen Thyristorsteuerung. Nachteilig war freilich, dass es keine elektrifizierte Strecke gab, auf der das Hennigsdorfer Schmuckstück seine Höchstgeschwindigkeit ausfahren konnte. Auf den starken Steigungen der Rübelandbahn konnte sie zwar ihre Zugkraft unter Beweis stellen, doch die Höchstgeschwindigkeit war angesichts der zulässigen 50 km/h für Berg- und 30 km/h für Talfahrten von vorn herein ausgeschlossen. Allen falls waren auf geeigneten Hauptstrecken Schleppfahrten hinter schnellen Dampf- und Dieselloks sowie Einsätze auf dem tschechischen Versuchsring Velim bei Prag möglich. Auch der Serienbau kam nicht zustande, weil ausländische Bahnverwaltungen zwar in technischer Hinsicht interessiert waren, ansonsten aber einheimische Herstellerwerke bevorzugten. So stand die moderne Lok bis zu ihrer vor 20 Jahren erfolgten Verschrottung auf dem Werksgelände in Hennigsdorf nur noch herum, was ihr den doppeldeutigen Spitznamen „Weltstandslok“ einbrachte.
Sonderlich traurig war das Herstellerwerk nicht, weil die Kapazitäten voll ausgelastet waren. War die E 211001 also ein Flop? So kann man es sicher auch nicht sagen. Immer hin lieferte sie wertvolle Erkenntnisse für den Einsatz elektronischer Schaltwerke. neuer Lokomotivantriebe und Stromabnehmer, ebenso für ansprechende Formgestaltung und die Gewährleistung guter Arbeitsbedingungen für das Personal. Sie zeugte vom soliden Können der Hennigsdorfer Lokomotivbauer und bewies deren Fähigkeit, sich rasch auf neue Entwicklungsrichtungen einstellen zu können. Gerade wegen der Tatsache, dass die Deutsche Bahn AG dem elektrischen Betrieb auf der Rübelandbahn den Garaus machen will, sollte an die Fahrten dieser ungewöhnlichen Lok auf einer ebenso ungewöhnlichen Strecke erinnert werden.
Hans-Joachim Weise,
Ilmenau
entnommen aus einem Leserbrief an die Volksstimme, veröffentlicht am 5. November 2002
Wenn Du das Bild mit der Lok und dem Personenzug haben möchtest bitte mailen, ich hab ein schwarz / weiß Foto eingescannt, das gibts dann per mail.
Für weitergehende Informationen wende Dich bitte an Foriker "s-bahner" oder Bombardier Transportation in Hennigsdorf, dort sollten noch Unterlagen und Pläne im Archiv schlummern.